HOAI-Mindestsätze sind auch nach dem EuGH-Urteil vom 04.07.2019, IBR 2019, 436 unter Privaten verbindlich

KG, Beschluss vom 19.08.2019

Das Mindestpreisgebot gemäß Art 10 §§ 1, 2 MRVG, 7 Abs. 3 und 5 HOAI 2013 ist auch nach dem Urteil vom EuGH vom 04.07.2019 im Zivilrechtsstreit zwischen Privaten anwendbar.

Sachverhalt

Die Beklagte Eigentümerin eines großen Areals, auf welchem sich ein denkmalgeschütztes Gebäude befindet, beauftragte die Klägerin in den Jahren 2006 bis 2008 mit der Planung der Umgestaltung des Gebäudes in ein Hotel beauftragt. Nachdem dieses Vorhaben nicht realisiert wurde, beauftragte Anfang 2015 die Beklagte erneut die Klägerin im Vorfeld der vorgesehenen Sanierung sowie Umbau des Gebäudes. Die diesbezügliche Vereinbarung sah unter anderem vor, dass die früheren Planungen überarbeitet sowie weitere Teilaufträge „durch einen eigenständigen Vertrag zu den Bedingungen dieses Rahmenvertrages“ erteilt werden sollen.

Aufgrund der erforderlichen Genehmigungen erbrachte die Klägerin unterschiedliche Leistungen und erhielt ein Honorar von über 115.000,00 Euro bei einer Stundenhonorarvereinbarung von 96,00 Euro. Obwohl beide Parteien auch über den Abschluss des Architektenvertrages betreffend die Sanierung und Modernisierung des Altbaus verhandelten, einigten sie sich nicht sondern beendeten die Zusammenarbeit vielmehr im Streit.

Mit der beim LG Berlin erhobenen Klage begehrt die Klägerin eine Kündigungsvergütung auf Grundlage einer behaupteten Beauftragung zur Objektplanung der Leistungsphasen 1 bis 4 unter Berufung auf die HOAI-Mindestpreisgrenze.

Entscheidung

Das Kammergericht (KG) hat zunächst den Abschluss eines verbindlichen Architektenvertrages über Objektplanungsleistungen festgestellt. Auf dessen Grundlage hat das Gericht die Erbringung der vollständigen Leistungen der Phasen 1 und 2 bejaht. Das Gericht hat bestätigt, dass das Mindestpreisgebot der HOAI der klägerischen Forderung zugrunde gelegt werden soll.

Das KG hat explizit darauf hingewiesen, dass das EuGH-Urteil vom 04.07.2019 dem nicht entgegensteht. In seinem Urteil hat der EuGH im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass die verbindlichen Honorargrenzen für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren in der HOAI im Widerspruch zur Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG stehen. Die Bundesrepublik habe deshalb gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 g) und Abs. 3 der Richtlinie verstoßen.

Das KG begründet seine Entscheidung mit den Feststellungen des EuGH-Urteils bzw. auch mit den dort gerade offen gelassenen Fragen, ob das Mindestpreisgebot gegen die AEUV oder die dort in Art. 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit verstößt. Aus Sicht des KG führt allein der Verstoß gegen eine Richtlinie der europäischen Union nicht zur Unanwendbarkeit von nationalem Recht unter Privatpersonen.

Das KG beruft sich insbesondere auf die Natur von europäischen Richtlinien. Grundsätzlich wirken sie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV gerade nicht unmittelbar. Nur in Ausnahmefällen, soweit sie nicht umgesetzt wurden, dürfen sich die Bürger unmittelbar gegen den untätig gebliebenen Staat auf die nicht umgesetzten Richtlinien berufen. Dies erfolgt primär aus Sanktionsgründen und zu Lasten des Staates. Folglich besteht weder grundsätzlich noch in Ausnahmefällen Raum für eine unmittelbare Anwendung von Richtlinien zu Lasten von Privatpersonen.

Dies wäre bei einer unmittelbaren sog. „horizontalen Direktwirkung“ der EU-Dienstleistungsrichtlinie hier jedoch der Fall: Die Klägerin hätte sich dann das Fehlen einer Mindestgrenze für ihr Honorar entgegenhalten müssen. Entsprechend hätte sie eine niedrigere Vergütung beanspruchen können.

Die Regelungen über die Wirkungen von Richtlinien dienen insbesondere der Schutzwürdigkeit von Privaten und deren Vertrauen in den Fortbestand des im Konflikt mit der Richtlinie stehenden nationalen Rechts. Das KG führt diesbezüglich an, dass auch die Unilever-Entscheidung des EuGH vom 26.09.2000, C-443/98 nichts hieran ändere, da die dort gegenständliche Richtlinie keine für das zivilrechtliche Rechtsverhältnis der Parteien nachteilige Regelungsaussagen traf.

Aus diesen Gründen kommt das KG zum Ergebnis, dass ohne unmittelbare Direktwirkung der Richtlinie der Wille des nationalen Gesetzgebers als Grenze für die richtlinienkonforme Auslegung beachtet werden soll, wie in der Entscheidung des BGH vom 28.10.2015 – VIII ZR 158/11, BGHZ 209, 246. Zwischen Privaten entfaltet eine europäische Richtlinie somit insoweit Anwendung als die nationale Norm richtlinienkonform ausgelegt wird.

Vorliegend richtet sich der Schutz der Dienstleistungsrichtlinie auf die Vertragsfreiheit von Architekten und Auftraggebern ohne Mindest- oder Höchstpreisrahmen beachten zu müssen. Dies betrifft vor allem den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Der Schutzzweck der Richtlinie geht folglich in eine gänzlich andere Richtung als die Interessen von Privatparteien in architektenrechtlichen Streitigkeiten.

Folglich soll der gesetzgeberische Wunsch nach einem Mindestpreisgebot bei Architektenleistungen beachtet werden.

Praxishinweis:

Die Folgen der EuGH-Entschiedung für Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Privaten ist derzeit nicht abschließend geklärt. Einerseits wird vertreten, dass das Mindestpreisgebot aufgrund der vom EuGH festgestellten Europarechtswidrigkeit nicht mehr anzuwenden ist (OLG Celle, Urteil vom 23.07.2019 – 14 U 182/18; Urteil vom 17.04.2019 – 14 U 188/18; OLG Dresden, Urteil vom 04.07.2019 – 10 U 1402/17). Andere Gerichte gehen davon aus, dass jedenfalls architektenrechtliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten von der EuGH-Entscheidung unberührt bleiben (KG, Beschluss vom 19.08.2019 – 21 U 20/19; OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 – 14 U 188/18; OLG Naumburg, Urteil vom 13.04.2017 – 1 U 48/11). Erst eine Entscheidung des BGH kann Rechtssicherheit auf diesem Gebiet herbeiführen. Für die Zeit davor kann man sich lediglich an der Ansicht des jeweiligen örtlich zuständigen OLG orientieren. Um die abschließende BGH-Entscheidung dieser Rechtsfrage abwarten zu können, bietet sich bei noch nicht rechtshängigen Forderungen auch ein Verjährungsverzicht an.